„Rennferkelei“ in 2019 – wie war´s denn so?!

Julia Würthen wurde mit einer schweren Form von Spina bifida und Hydrocephalus geboren. Die Ärzte prognostizierten ein schwerstbehindertes, betreutes Leben für die kleine Julia, die als Kleinkind zwei Jahre lang nach diversen OPs ein Ganzkörper-Schalenkorsett tragen musste. Grotesk wirkt im Rückblick, dass ihren ersten Rollstuhl der Vater gebaut hat, da Julia´s Krankenkasse keine Kosten übernehmen wollte. Begründet wurde dies mit der Argumentation, dass sie sich mit diesem Krankheitsbild niemals alleine fortbewegen könne und deshalb keinen Rollstuhl benötigt.

Rennferkel Julia Wuerthen

Wie so oft kam es anders – erfreulicherweise. Durch ihre unermüdliche Bewegungsfreude entwickelte sich Julia in den folgenden Jahren körperlich und mental sehr stabil weiter und war in ihrer Kindheit und Jugend ein Musterbeispiel für gelungene Inklusion – sei es im integrativen Kindergarten oder im weiteren Verlauf in der Grund- und Realschule.

In den frühen Anfängen ihrer sportlichen Karriere erhielt sie von ihrem Trainer ihren Spitznamen „Rennferkel“, den sie seither u.a. als Homepage (www.rennferkel.com) nutzt. Teleflex unterstützt die Rennrollstuhlfahrerin bereits seit einigen Jahren.

Hallo Julia, vor fast genau einem Jahr haben wir uns schon mal unterhalten und wir sind jetzt sehr gespannt wie sich das vergangene Jahr für Dich entwickelt hat. Wie ist es denn sportlich so gelaufen?

Also „gelaufen“ ist natürlich wie üblich nichts *lach*. Aber im Ernst: tatsächlich war die Saison leider echt nicht so erfolgreich wie geplant. Ich habe in 2019 10 Wettkämpfe besucht und insgesamt 30 Rennen in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz, bestritten. Laut meinen Eltern kamen so, zusammen mit regelmäßigem Training in Saarbrücken, wieder knapp 20.000 km mit dem Privatauto zusammen. Viele neue Sachen konnte ich dazulernen und tolle neue Menschen treffen. Nur leider habe ich meine Ziele nicht erfüllen können. Da ich ein sehr ehrgeiziger Mensch bin, hat mich das schon sehr traurig gemacht.

Woran hat es denn gelegen, dass die Saison nicht so gut war?

Dank der tollen Unterstützung von Teleflex, der Fleischerei Klassen (Pete&Phils) und vielen Vereinen und Freunden in unserem privaten Umfeld konnte ich Anfang der Saison einen neuen Rennrollstuhl bekommen. Leider kam ich damit nicht so gut zurecht, da dieses Modell (wachstumsbedingt) eine andere Bauart sein musste und auch größere Räder hatte. So mussten wir sehr viel ausprobieren und an jeglichen Kleinigkeiten bei Technik und Mechanik feilen. Zudem hat sich mein langjähriger Trainer altersbedingt zurückgezogen und ich hatte die erfolgreich bestandenen Prüfungen für meinen Realschulabschluss. Es kam einiges zusammen, weshalb ich mich nicht 100% auf das Training und die Wettkämpfe konzentrieren konnte.

Was hast du dir sportlich für das Jahr 2020 vorgenommen?

Ich freue mich einfach darauf das Wettkampf-Feeling wieder zu spüren, da ich diese Atmosphäre total liebe. Es sind schon einige Wettkämpfe geplant unter anderem in der Schweiz, die Deutsche Meisterschaft in Bottrop oder die Hallenmeisterschaft in Erfurt. Primär will ich meine deutschen Rekorde verbessern und wieder die C-Kaderzeit erreichen. Ich feiere dieses Jahr dazu noch meinen 18. Geburtstag im Rahmen eines Wettkampfes in der Schweiz. Da ein großer Teil meiner Freunde dabei ist, werden wir auch ein bisschen feiern. Natürlich außerhalb des Wettkampfes (lacht).

Dieses Jahr wirst du also volljährig. Bist du schon aufgeregt und was hast du so vor für die Zukunft?

Ich freue mich sehr endlich 18 zu sein. Aktuell mache ich das Fachabitur und bin damit im Jahr 2021 fertig. Danach möchte ich eine Ausbildung bei der Polizei in der Verwaltung beginnen.

Was machst du denn abgesehen von Sport und Schule? Hast du eine weitere Leidenschaft und Hobbys?

Absolut – ich liebe die Musik. Ich höre wirklich täglich Musik und singe mit. Dazu schreibe ich schon eigene Songtexte und bastele gerne an Melodien. Mein Plan ist es noch Gitarre zu lernen, da Gitarre ein tolles Instrument ist. Ich habe bereits eine im Blick und habe vor mir diese zum Geburtstag zu wünschen, da mein Wunschzettel für Weihnachten schon voll mit Konzerten ist (lacht). Ich liebe Konzerte, natürlich am meisten von meiner absoluten Lieblingsband „The Kelly Family“ und meinem Lieblingsinterpreten Michael Patrick Kelly. Ich beschäftige mich auch sehr viel mit dem Land Irland, da es mit Abstand mein absolutes Lieblingsland ist.

Das ist sehr vielseitig. Wenn Du so gerne singst, bist du in einer Band oder in einem Verein aktiv?

Tatsächlich, ja. Also ich singe seit Kurzem in einem Chor und im vergangenen Dezember hatten wir unser Weihnachtskonzert. Mein Papa hat in unserem Haus ein kleines Musik-Studio. Da machen wir beiden dann auch ab und zu ein bisschen Hausmusik.

Du bist ja sehr fleißig. Wie sieht dein Terminkalender aus? Ist es sehr stressig?

Stressig ist es nicht. Es macht ja Spaß. Wenn ich es nicht mögen würde, dann würde ich es nicht machen. Es sind ja alles Hobbys. Den Sport allerdings sehe ich allerdings schon als wichtige Zukunftsperspektive.

Du sitzt seit Deiner Geburt im Rollstuhl. Was sind im täglichen Leben die größten Probleme, die dir begegnen und wie gehst du damit um?

Die meisten Leute erwarten, dass die Rollstuhlfahrer jetzt die üblichen Dinge wie „Städte und Verkehrsmittel sind nicht behindertengerecht oder die fehlende Akzeptanz in der Öffentlichkeit“ aufzählen, aber eigentlich ist das alles gar nicht so schlecht. Wenn man freundlich nach Hilfe fragt, wurde mir bisher immer geholfen. Sich zu ärgern und zu jammern bringt überhaupt nichts.

Was ich ein wenig bedauere ist, dass man als Rollstuhlfahrerin nicht so spontan sein kann: Einen Ausflug ins Kino oder eine Pyjamaparty bei einer Freundin muss wegen des Transports oder beispielsweise der Möglichkeit zum pünktlichen Katheterisieren, immer genau geplant werden.

Grundsätzlich finde ich, dass die Leute den Rollstuhlfahrern einfach mal mehr zutrauen sollten und die Rollstuhlfahrer sollten im Gegenzug einfach mehr ausprobieren, z.B. mit dem Rollstuhl auf die Eisbahn, was mir Mega-Spaß macht.

Teleflex wünscht dir für die Zukunft viel Erfolg und hofft, dass deine Pläne alle in Erfüllung gehen! Danke für das interessante Interview, liebes »Rennferkel« Julia.

Foto, Textquelle: Thomas Würthen